Ein Kommentar von Eckart Bräuniger

Die moralischen Instanzen der Nachkriegszeit beginnen zu wanken. Für manche jedenfalls. Nach der überraschenden Enthüllung des Schriftstellers Günter Grass, Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein, zog der Historiker Wolffsohn den moralischen Wert seines Lebenswerkes in Frage.
Nun trifft es Erwin Strittmatter. Kaum wurde bekannt, daß er einem SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment angehörte, wurde in Spremberg eifrig zu überlegen begonnen, nach dem Autoren benannte öffentliche Räume umzubenennen.

Da will man also päpstlicher sein, als der Pabst selbst. Autoren, die durch ihre – wie auch immer zu bewertenden – Publikationen von eifernden Zeitgenossen in nahezu himmlische Gefilde enthoben wurden, sollen nun dem Verruf anheimfallen.

Jetzt können sich auch Leute zum Thema melden, die, hätten sie sich zu den schriftstellerischen Werken geäußert, kaum mehr öffentliche Beachtung gefunden haben dürften, als Meier, Müller, Lehmann oder Schmidt, wenn sie in ihrer Stammkneipe über das Börsengeschehen debattieren.
Werke, die gestern noch über den grünen Klee gelobt wurden, werden nun mit dem gleichen Engagement skeptisch beäugt. Die moralischen Prediger fühlen sich hintergangen. Ein Volksschriftsteller bei der SS: Unglaublich, das hätte er doch petzen müssen.

Nur: War dieser Umstand dem ausgeklügelten Überwachungsapparat der DDR wirklich entgangen? Oder wurde im antifaschistischen Staat nur eben nicht so ein öffentliches Brimborium über Vergangenes veranstaltet, wie das im Staate Völkerfreundschaft mit Israel alltäglich ist?
Denn schließlich war beispielsweise SED-ZK-Mitglied und Politbüro-Kandidat Karl-Heinz Bartsch ab 1940 bei der Waffen-SS. Oder Karl Burkert – Funktionär der Ostblock-CDU und zugleich Vizepräsident der Deutsch-Lateinamerikanischen Gesellschaft der DDR sowie Bezirksrichter – trat bereits 1937 in die SS ein.

Der Rundfunkchefkommentator Egbert von Frankenberg und Proschlitz tat dies bereits 1932 und der SED-Kampflied- und Defa-Drehbuchverfasser Jens Gerlach gehörte gar der SS-Leibstandarte Adolf Hitler an.
Der Präsident des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden sowie Vizepräsident des DDR-Kulturbundes Heinz Hofmann war bei der SS-Division Hohenstaufen und der Präsident des DDR-Friedensrates und SED-Funktionär Gerhard Mertink war SS-Oberscharführer in der Division Reichsführer SS.

Warum jetzt also dieses Federlesen um SS-Biographien, die bei anderen kaum mehr einer Wortes würdig sind? Beim Maler Bernhard Beisig etwa, oder beim langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Bank, Franz Heinrich Ulrich und bei Otto Beisheim, Gründer des Metro-Konzerns.
Und auch in diesem Staat gibt und gab es Kulturschaffende, die bei der Truppe waren. Herbert Reinecker etwa – Kriegsberichterstatter der Waffen-SS, nachher erfolgreicher Drehbuchautor (Der Kommissar, Derrick, Das Traumschiff usw.). Oder Hardy Krüger, der 1945 in den Reihen der neu aufgestellten SS-Division Nibelungen stand.

Oder nehmen wir die Sportler: Fritz Huschke Freiherr von Hanstein, (Motorsport-SS), der international erfolgreiche und berühmte Rennfahrer, war bei der Motorsport-SS.

Der einstige SS-Angehörige Heinrich Harrer, war weltberühmter Bergsteiger sowie Lehrer und Berater des jungen Dalai Lama. Seine Abenteuer in Zentralasien wurden 1997 in Hollywood mit Brad Pitt verfilmt (Sieben Jahre in Tibet).

Im Ausland scheint man dieses Thema mit mehr Abstand zu betrachten. Denn wer würde der Idee verfallen, das niederländische Königshaus anzugehen, wenngleich Prinz Bernhard der Niederlande Mitglied der Reiter-SS war?

Dieses Vorgehen ist ein Privileg, welches mit Sicherheit der deutschen Meinungsmanipulation der letzten Jahrzehnte vorbehalten ist. Doch lassen nicht die sogenannten Enthüllungen schwarzer Flecken in den Biographien prominenter Persönlichkeiten mögliche Rückschlüsse oder Fragen zu? Beispielsweise die: Was war das für eine Truppe, in deren Reihen so viele fähige Männer standen?