Die sudetendeutsche Frage hat sich dank generöser Nachsichtigkeit der Opfer von selbst erledigt

Bernd Posselt will kein Mann der Vergangenheit sein. Also spricht der Chef der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) vom Gaza-Konflikt. Beim Sudetendeutschen Tag, zu dem am Pfingstwochenende auch viele Heimatvertriebene aus Österreich nach Augsburg gekommen sind, erzählt der ehemalige CSU-Europaabgeordnete, für den es 2015 nicht mehr für ein Mandat gereicht hat, von dem Palästinenser, der neben seinem Enkel sitzend sagt: „Ich werde alles tun, dass dieser Bub und auch noch seine Kinder mit der Waffe für unsere Heimat kämpfen bis zum Sieg.“ Friedensauftrag Dann dankt Posselt „unseren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern“, dass sie aus dem Grauen des Weltkrieges und der Vertreibung eine andere Schlussfolgerung gezogen haben. Nämlich: „Wir müssen mit diesem Teufelskreis aus Hass, Gewalt und Gegenhass und Gegengewalt ein Ende machen.“ Und Posselt spricht von der Aufgabe, „grenzüberschreitend Frieden zu stiften mit den Nachbarn — als Vorbild für andere“. Dieser großen Aufgabe ist alles untergeordnet. Zur Not auch Recht und Gerechtigkeit.

Vor drei Jahren strich die SL jene Passagen aus ihrer Satzung, die eine „Wiedergewinnung der Heimat“ und „Restitution oder gleichwertige Entschädigung“ zum Ziel erklärt hatten. Nicht allen Sudetendeutschen gefiel das. Einige verhindern mit Klagen bis dato die Eintragung der neuen Satzung ins Vereinsregister, weshalb formal noch immer die alte gilt. Aber Posselt lässt sich davon nicht beirren. Er tut so, als wäre die neue Satzung schon gültig. Und die Politik tut auch so. Vorbei sind die Zeiten, da sie sich verpflichtet fühlen musste, Prag mit der sudetendeutschen Frage zu nerven. Die Aufhebung der Benes-Dekrete, auf deren Grundlage nach 1945 mehr als drei Millionen Sudetendeutsche enteignet und vertrieben, sowie Zehntausende ermordet worden waren, ist kein Thema mehr.

Edmund Stoiber hatte als bayerischer Ministerpräsident noch eine Reise nach Prag verweigert, solange diese Dekrete und ein die Morde straffrei stellendes Gesetz nicht aufgehoben wären. Der heutige Ministerpräsident Markus Söder erhebt diese Forderung bei seinem ersten Auftritt vor den Sudetendeutschen nicht. Nur der subaltere Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) erklärt, dass die Benes-Dekrete „nicht in ein Europa der Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und des Friedens gehören“. Auch in den Reden des SL-Chefs kommt der Begriff „Benes-Dekrete“ nicht vor. Warum sollte die Politik mehr fordern als die Sudetendeutschen selbst? Auch beim Besuch des tschechischen Premiers Milan Babis vorigen Freitag in Wien spielte das einst konfliktträchtige Thema keine Rolle. Die sudetendeutsche Frage ist zwar nicht gelöst, aber abgehakt, weil die Sudetendeutschen generös auf Wiedergutmachung und die Aufhebung der Unrechtsdekrete verzichtet haben.

Zu diesem Versöhnungskurs passt der diesjährige Karlspreisträger: Christoph Kardinal Schönborn. Der als Säugling selbst mit seiner Familie aus der Tschechei Vertriebene betonte schon vor der Preisverleihung, er und seine Angehörigen hätten „sich nie über die Vertreibung definiert und schon gar nicht über Wut und Zorn gegen die, die uns vertrieben haben“. In seiner Dankesrede nennt der Wiener Erzbischof die Vertreibung zwar Unrecht, fragt aber zugleich, ob die Vertriebenen nicht das „bessere Los“ gezogen hätten, weil ihnen der Kommunismus erspart blieb. „Lasst niemals zu, dass die Vergangenheit euer Leben bestimmt. Blick immer nach vorne“, rät Schönborn und man fragt sich, ob er das auch Nazi-Opfern ins Gesicht sagen würde.

Der Sudetendeutsche blickt eh nach vorn, war nie Revoluzzer oder gar Terrorist, was der Politik die „Lösung“ eines Problems durch Aussitzen ermöglichte. Das verdient Anerkennung. Eine Geste der Dankbarkeit wäre ein gutter Platz für Posselt auf der CSU-Liste für die EU-Wahl 2019. Denn der will kein Mann der Vergangenheit sein.