„Das Schicksal liebt die Disziplinierten.“
— Ernst Jünger
Deutschland wurde nicht am Schreibtisch geboren, sondern im Pulverdampf. 1870 – das Jahr, in dem der Gedanke zur Gestalt wurde. Der Krieg gegen Frankreich war mehr als ein militärisches Ereignis. Er war der Augenblick, in dem das Bewusstsein nationaler Zugehörigkeit Wirklichkeit annahm. Paul von Elpons’ Tagebuch des deutsch-französischen Krieges 1870/1871 hält diesen Prozess fest – Tag für Tag, in der Sprache einer Epoche, die noch wusste, was Opfer und Ordnung bedeuteten.
Der Funke von Ems
Als im Sommer 1870 die diplomatische Spannung zwischen Berlin und Paris eskalierte, erschien der Anlass – die spanische Thronfolgefrage – kaum der Rede wert. Doch die „Emser Depesche“, die Bismarck mit kaltem Kalkül veröffentlichte, traf den Nerv französischer Eitelkeit. Napoleon III. glaubte, den Krieg erzwingen zu müssen, um die bröckelnde Autorität seines Kaiserreichs zu retten.
Elpons beschreibt die Stimmung jener Tage als „elektrisch“. Überall im Land erwachte ein Gefühl, das seit den Befreiungskriegen geruht hatte: das Bewusstsein gemeinsamer Herkunft und gemeinsamer Pflicht. Der Krieg wurde nicht von Preußen begonnen – aber er wurde von Deutschen geführt.
Ein Krieg der Ordnung gegen den Glanz
Die militärische Überlegenheit Frankreichs war mehr Schein als Substanz. Seine Armee, glänzend uniformiert, aber schlecht organisiert, traf auf ein Heer, das in Jahrzehnten der Reform zu einem Werkzeug von Disziplin und Effizienz geworden war.
Elpons sah in diesem Gegensatz ein Sinnbild zweier Welten: hier die Selbstzucht, dort die Selbstdarstellung. In den Schlachten von Wörth, Spichern, Gravelotte und Sedan bewährte sich nicht die Zahl der Kanonen, sondern der Geist der Pflicht.
Sedan – Sieg und Selbstgewissheit
Am 2. September 1870 kapitulierte Napoleon III. bei Sedan. Für Frankreich bedeutete das den Untergang des Zweiten Kaiserreichs, für Deutschland den Beginn seiner Einheit. Elpons notierte, „das deutsche Volk habe sich selbst erobert“.
In Versailles, dem Symbol französischer Größe, wurde am 18. Januar 1871 das Deutsche Kaiserreich ausgerufen – nicht als Triumph über den Nachbarn, sondern als Vollendung eines inneren Weges. Aus der Bewährung im Krieg wuchs die Erkenntnis gemeinsamer Bestimmung.
Elpons verstand den Krieg nicht als Ruhmesrausch, sondern als Geburtshelfer einer Idee. Sein Tagebuch ist kein Heldenepos, sondern eine Chronik geistiger Selbstfindung. Zwischen den nüchternen Zeitungszitaten leuchtet die Gewissheit, dass Geschichte nicht vom Zufall, sondern vom Willen zur Form gelenkt wird.
In der preußischen Tugend – in Pflicht, Opfer, Ordnung – sah Elpons das Fundament, auf dem das neue Reich stand. Der Sieg war nicht die Ursache, sondern die Folge dieser inneren Haltung.
Heute, mehr als eineinhalb Jahrhunderte später, scheint der deutsch-französische Krieg nur noch als Nachhall vergangener Größe. Doch wer Elpons liest, spürt den Atem einer Zeit, in der Geschichte noch als Schicksal empfunden wurde.
1871 war mehr als eine Gründung – es war die Selbstbegegnung eines Volkes. Der Rauch ist verweht, doch die Glut jener Monate brennt fort: Erinnerung an eine Ordnung, die nicht Sieg, sondern Haltung suchte.