Unser Leben besteht nicht nur aus Essen, Trinken, Schlafen und dem politischen Kampf. Auch das Kraftschöpfen und Aufladen der eigenen Batterien aus den Quellen des Schönen und Ewigen gehört dazu – und zumal in einer Welt, die immer flacher und blöder wird. Man muß die Tür hinter sich zumachen können.

Unser Autor Karl Richter

Mir persönlich ist das Werk des österreichischen Symphonikers Anton Bruckner ein Quell der Kraft, der gestern vor 195 Jahren in Ansfelden unweit von Linz geboren wurde. Aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammend, wurde er sich erst spät seiner künstlerischen Berufung bewußt. Am Ende hinterließ er der Nachwelt neun große, unverwechselbare Symphonien, die allesamt seine ganz eigene Handschrift tragen und die sich – wie die Musik Wagners – erst in langen Jahren und gegen viel Widerstand der tonangebenden Fachidioten ihr Publikum eroberten. Heute gehört Bruckners Werk zum unvergänglichen Schatz unseres abendländischen Erbes.

Ich schätze Bruckner auch deshalb, weil er – wie Wagner – keine Kompromisse machte und sich gar nicht erst als musikalischer Tausendsassa versuchte. Mit den Glatten, Weltgewandten wie Brahms oder Mendelssohn konnte er nichts anfangen. Seine Mission waren seine neun titanischen Symphonien, und Bruckner, der ein gläubiger, gottergebener Geist war, war zeitlebens davon überzeugt, daß er einst dem Herrgott dafür werde Rechenschaft abstatten müssen, was er aus seinem Talent gemacht habe. Das alles paßt nicht zum grenzenlos oberflächlichen Star- und Virtuosenkult seiner und unserer Zeit. Mir gefällt das. Bruckner war ein großer Unverstandener, ein großer Unzeitgemäßer, der nur sich, dem Herrgott und seiner Aufgabe verpflichtet war. Das ist der Geist, aus dem Unvergängliches gemacht ist.