In aller Stille setzt die US-Außenpolitik unter Zuhilfenahme ihrer europäischen Hilfswilligen derzeit ein ambitioniertes geostrategisches Projekt um, das einer alten Zielsetzung der Angelsachsen folgt: jedwede vertiefte Kooperation zwischen Deutschland und Rußland zu sabotieren. Der Gründer der US-Denkfabrik Stratfor, George Friedman, brachte es zuletzt, im Februar 2016, in einer öffentlichen Rede mit den Worten zum Ausdruck: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns [Amerika] bedrohen kann. Unser Hauptinteresse war, sicherzustellen, daß dieser Fall nicht eintritt.“
Als hervorragende Instrumente hierfür eignen sich eine Handvoll besonders serviler US-Vasallen im Einflußbereich der ehemaligen UdSSR, die sich seither in ihrem Russenhaß ebenso wie in ihrer transatlantischen Nibelungentreue vereint sehen. Die Rede ist in erster Linie von Polen und der Ukraine. Sie sind – kaum zufällig – die Hauptakteure im Rahmen der sogenannten Drei-Meere-Initiative, die seit einigen Jahren Konturen annimmt. Das aktuelle Gipfeltreffen der Initiative findet dieser Tage in Bukarest statt.
Es handelt sich dabei um einen derzeit noch eher losen Zusammenschluß von zwölf mittel- und osteuropäischen Ländern zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria, darunter auch Österreich, Ungarn, die baltischen Staaten sowieso. Das Projekt ist eine Wiederbelebung des polnischen „Intermarium“-Konzepts der Zwischenkriegszeit, mit dem sich Warschau in den zwanziger und dreißiger Jahren als regionale Vormacht im Raum zwischen den drei Meeren zu profilieren versuchte – ohne Erfolg, wie man weiß.
Nicht umsonst verdankt sich die Drei-Meere-Initiative einer Idee der kroatischen Präsidentin (und früheren stellvertretenden NATO-Generalsekretärin!) Grabar-Kitarovic und des polnischen Staatschefs Andrzej Duda. Der Gründungsgipfel fand 2016 in Dubrovnik statt, ein weiteres Treffen gab es 2017 im Kontext des NATO-Gipfeltreffens 2017 in Warschau, dem US-Präsident Donald Trump wenige Monate nach seinem Amtsantritt besonderes Gewicht verlieh.
Weil diese geostrategischen Hintergründe bekannt sind, beeilten sich die Teilnehmer des jetzigen Gipfels in Bukarest, vorauseilend abzuwiegeln: die Drei-Meere-Gruppe sei weder ein „Trojanisches Pferd“ der USA noch gegen die EU, Deutschland oder Rußland gerichtet, betonten die in Bukarest anwesenden Staatschefs auffällig präzise. Es handle sich vielmehr um eine sinnvolle und mittlerweile akzeptierte (!) Ergänzung zu bestehenden EU-Instrumentarien.
Verunklarend verwies etwa der ebenfalls teilnehmende österreichische Bundespräsident Van der Bellen auf Infrastruktur-Defizite, die es zu beheben gelte – die Erweiterung des transeuropäischen Straßennetzes, den Ausbau von hochleistungsfähigen digitalen Netzen und die Diversifizierung von Energiequellen; hier könne die Drei-Meere-Initiative wichtige Beiträge liefern. Auch die „Diversifizierung von Energiequellen, aber genauso die Diversifizierung von Energierouten“ sei ein wichtiges Thema, sagte Van der Bellen – doch auch dieser Ansatz gilt allgemein als Konkurrenzprojekt zur deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream II, die vor allem von Washington, Warschau und Kiew mit Vehemenz attackiert wird; bislang ohne Erfolg.
Es ist oft beeindruckend, wie vital geostrategische Langfristkonzepte sein können. Die fixe Idee der Anglo-Amerikaner, das gefürchtete Zusammengehen der Deutschen und Russen sabotieren zu müssen – wenn nötig, mit allen Mitteln –, reicht zurück in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, als sie von Geostrategen wie H. MackInder und A. Th. Mahan formuliert wurde. Wie die Aussage des eingangs zitierten Stratford-Chefs G. Friedman zeigt, ist sie in Washington nach wie vor virulent und liegt der US-Einkreisungspolitik gegenüber Rußland noch 150 Jahre später zugrunde. Daß sich US-Handlanger wie Polen und Ukrainer dafür hergeben, kann nicht verwundern – Polen gefiel sich schon 1939 in der Rolle des angelächsischen Festlandsdegens, der dann prompt verheizt wurde. Klügere Europäer sollten allerdings nicht auf die jüngste Leimrute der Transatlantiker, die sich hinter der Drei-Meere-Initiative verbirgt, hereinfallen. Sie schadet nicht nur Deutschland und Rußland, sondern Europa insgesamt.